09.09.2021 - ZfTI veröffentlicht Studie zu politisch motivierter Migration zwischen NRW und Türkei
Für eine Migration Türkeistämmiger aus NRW in die Türkei spielt eine Sympathie für die türkische Regierung (und damit auch die Selbstinszenierung des türkischen Staatspräsidenten Erdoğan als „Anwalt der Türk*innen“ in Deutschland) nur eine untergeordnet Rolle. Solche Motive sind in den seltensten Fällen allein ausschlaggebend für einen Wegzug aus NRW. In der Regel treten politische Gründe nur zu einer heimatlichen Verwurzelung und familialen Bindungen in der Türkei hinzu, wobei letztere die Hauptgründe für Abwanderungsentscheidungen sind.
In einer neuen Studie hat das Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung (ZfTI) untersucht, warum Türkeistämmige in NRW Deutschland den Rücken kehren und in die Türkei ziehen. Die Studie basiert auf einer repräsentativen Befragung von rund 1.000 erwachsenen Türkeistämmigen in NRW sowie auf 14 qualitativen Interviews. Das Vorhaben wurde gefördert durch das Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration NRW (MKFFI).
Noch 2019 wanderten, trotz fortgeschrittener Beschädigung der Demokratie und gesellschaftlicher Spaltung in der Türkei sowie einer inzwischen massiven Wirtschaftskrise, rund 30.000 Menschen aus Deutschland in die Türkei ab. Dabei sind die Gründe für diese Migrationen vielfältig und reichen von Eheschließungen über die Wahrnehmung von Beschäftigungsmöglichkeiten in der Türkei bis hin zur Wahl der alten Heimat als Altersruhesitz. Gerade mit Blick auf die Angehörigen der zweiten und dritten Einwanderergeneration stellt sich aber auch die Frage, inwiefern politische Unzufriedenheit in Deutschland, ein Gefühl von Benachteiligung oder Demokratiedistanz durch die türkische Politik aktiviert werden können und Abwanderungsentscheidungen beeinflussen.
Bemerkenswert ist, dass Migrationsentscheidungen unter den repräsentativ Befragten zumeist nicht endgültig sind: 39% geben an, zwischen Deutschland und der Türkei pendeln zu wollen, nur 9% wollen dauerhaft in die Türkei ziehen und 2% vorübergehend. Die anderen hegen keine Wanderungspläne. Damit zeigt sich, dass „Auswanderung“ im traditionellen Sinne der Abkehr von dem einen und der endgültigen Beheimatung in einem anderen Land kaum noch vorkommt.
Obwohl die Studie zeigt, dass politischen Motiven für einen Wegzug in die Türkei nur eine untergeordnete Rolle zukommt (und dies in der ersten Generation wie in den Nachfolgegenerationen) existieren immerhin 136 Befragte unter 630 in der repräsentativen Studie vertretenen Nachfolgegenerationsangehörigen, die zumindest auch aus politischen Gründen in die Türkei wandern wollen. Diese Befragten neigen tatsächlich überdurchschnittlich häufig der türkischen Regierungspartei AKP zu, fühlen sich oft durch die türkische Regierung vertreten und sind häufig mit den politischen Beteiligungsmöglichkeiten in Deutschland unzufrieden. Sie sind aber nicht demokratiedistanter als die anderen Befragten, was darauf hindeutet, dass sie die Politik in der Türkei nicht im Widerspruch zu demokratischen Standards sehen.